31 Jan
2012

26.1.2012 Urteil des EuGH zu Kettenbefristungen – NEU: Gesamtbetrachtung und Missbrauchskontrolle

Auf die Vorlage des Bundesarbeitsgerichts vom 17.11.2010 (Link zu Magazin-Artikel „Befristungsgrund Vertretung europarechtskonform“) hat der EuGH am 26.1.2012 entschieden. Leider nicht, wie gehofft, klar und deutlich gegen Kettenbefristungen sondern nebulös. Doch der Reihe nach:

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Ein sachlicher Grund für die Befristung von Arbeitsverhältnissen ist gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird.

Eine Sondervorschrift in diesem Bereich bilden § 21 Abs. 1 bis 5 BEEG, in denen es heißt:

 

„§ 21 Befristete Arbeitsverträge

(1) Ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, liegt vor, wenn ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers oder einer anderen Arbeitnehmerin für die Dauer eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz, einer Elternzeit, einer auf Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglicher Vereinbarung beruhenden Arbeitsfreistellung zur Betreuung eines Kindes oder für diese Zeiten zusammen oder für Teile davon eingestellt wird.

(2) Über die Dauer der Vertretung nach Absatz 1 hinaus ist die Befristung für notwendige Zeiten einer Einarbeitung zulässig.

(3) Die Dauer der Befristung des Arbeitsvertrags muss kalendermäßig bestimmt oder bestimmbar oder den in den Absätzen 1 und 2 genannten Zwecken zu entnehmen sein.

(4) Der Arbeitgeber kann den befristeten Arbeitsvertrag unter Einhaltung einer Frist von mindestens drei Wochen, jedoch frühestens zum Ende der Elternzeit, kündigen, wenn die Elternzeit ohne Zustimmung des Arbeitgebers vorzeitig endet und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die vorzeitige Beendigung der Elternzeit mitgeteilt hat. Satz 1 gilt entsprechend, wenn der Arbeitgeber die vorzeitige Beendigung der Elternzeit in den Fällen des § 16 Abs. 3 Satz 2 nicht ablehnen darf.

(5) Das Kündigungsschutzgesetz ist im Falle des Absatzes 4 nicht anzuwenden.

….“

Auf zwei Fallkonstellationen will ich eingehen:

Fall 1

Der Fall, den der EuGH zu beurteilen hatte, betraf eine Justizangestellte in NRW, die innerhalb von 11 Jahren 13 befristete Arbeitsverträge hatte. Sie war für die Vertretung verschiedener Kollegen/innen eingesetzt, die beispielsweise Elternzeit genommen hatten. Die Frau war über die gesamte Zeit mit den immer gleichen Aufgaben betraut gewesen.

Fall 2

Denkbar ist neben diesem Fall aber auch ein anderer Fall, der im öffentlichen Dienst ebenso häufig anzutreffen ist: Ein öffentlicher Arbeitgeber gewährt einem Arbeitnehmer/einer Arbeitnehmerin Sonderurlaub, weil diese/r beispielsweise ein Kind unter 18 Jahren betreut. Für den öffentlichen Dienst gibt es dazu entsprechende Regelungen in Tarifverträgen, die es Arbeitnehmern/innen erlauben, bis zum 18. Lebensjahr des jüngsten Kindes zu Hause zu bleiben. Die Entscheidung wird aber nicht bei der Geburt des Kindes bis zum 18. Lebensjahr getroffen, sondern kann immer wieder (alle paar Jahre) neu getroffen werden. Die Folge davon ist, dass immer wieder befristete Verträge mit Vertretungen geschlossen werden. Die Vertretung kann sich auch nach Jahrzehnten (sic!) nicht sicher sein, dass sie einen unbefristeten Vertrag bekommt, weil ja die Kollegin/ der Kollege bis zum 18. Lebensjahr des jüngsten Kindes einen Anspruch auf Rückkehr an seinen Arbeitsplatz hat. Die aberwitzige Situation, die dadurch entsteht ist die: Eine Mutter ist der Meinung, dass sie für ihre Kinder bis zum 18. Lebensjahr zu Hause bleiben will und sichert sich ihren Arbeitsplatz. Sie blockiert damit die unbefristete und damit sichere Stelle für ihre Vertretung, bei der es sich oft auch um eine Mutter handelt, die aber ihre Kinder nicht bis zum 18. Lebensjahr zu Hause betreut, sondern sie in Kita und Hort unterbringt und arbeiten geht. Für wen mein Herz schlägt, kann ich nicht zu verhehlen. Ich finde, dass es sich mit diesem Sonderurlaub um ein nicht mehr zeitgemäßes sozialpolitisches Unding handelt! Aber sei ´s drum. Wir haben diese Vorschriften und müssen nun schauen, ob Befristungen aufgrund dieser Sonderurlaube laut EuGH rechtens sind.

Was sagt der EuGH?

Was für den juristischen Laien und auch für Fachleute (z.B. mich) klar nach Missbrauch „riecht“ ist leider nicht so ohne Weiteres als Missbrauch zu deklarieren. Im Falle der nordrhein-westfälischen Justizangestellten hat der EuGH entschieden, dass man nicht pauschal sagen kann, dass ab einer gewissen Anzahl von befristeten Verträgen oder einer bestimmten Gesamtdauer kein sachlicher Grund für eine Befristung gegeben ist oder ein Missbrauch vorliegt. Die bloße Tatsache, dass ein Arbeitgeber einen – auch dauerhaften (!) – Vertretungsbedarf mit befristeten Arbeitsverhältnissen abdeckt ist kein Rechtsverstoß. Das gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber auch die Möglichkeit hätte, unbefristete Arbeitnehmer einzustellen. Man müsse jedoch, so der EuGH weiter, alle befristeten Verträge anschauen und im Einzelfall prüfen ob ggf. ein Missbrauch vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht hat den Fall daher wieder zurück bekommen und muss nun prüfen, ob ein sachlicher Grund für die Befristung und oder ein Missbrauch vorlag. Dabei muss es, und dass ist neu, alle Verträge und die Gesamtdauer einbeziehen. Bislang prüfte das Bundesarbeitsgericht immer nur den letzten befristeten Vertrag auf Rechtmäßigkeit.

So richtig froh mach einen das Urteil nicht, weil mit der „Einzelfallprüfung“ und der „Missbrauchskontrolle“ keine Klarheit sondern weiterhin Unsicherheit auf beiden Seiten (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) herrscht. Ein kleiner Schritt ist jedoch getan. Man kann in Zukunft nicht mehr die Augen vor der Anzahl und Gesamtdauer der Verträge verschließen. Hier bieten sich Ansatzpunkte zumindest für Verhandlungen. Ob das gut ist, kann man so oder so sehen …

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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