23 Sep
2009

Mindestlohn und Lohnwucher

von Dr. Sandra Flämig: Rechtsanwalt – Fachanwältin für Arbeitsrecht Stuttgart

Abgesehen davon, dass der diesjährige Bundestagswahlkampf an Langweiligkeit kaum zu überbieten ist, gibt es doch eine Konstante: Uns allen wird/soll es besser gehen, wenn wir brav unser Kreuzchen machen. Wo, ist eigentlich egal, weil alle dasselbe versprechen; insbesondere zum Thema Soziale Gerechtigkeit bzw. lohneswerte Arbeit.

Ja, es sieht sehr trübe aus, wenn immer mehr Menschen nicht einmal mehr von einem Vollzeitjob leben können. Das ist nicht nur frustrierend. Es ist entwürdigend. Vielfach wird daher nach einem gesetztlichen Mindestlohn verlangt,

der wahrscheinlich wirklich der einzige Ausweg aus der Misere „Niedriglohnsektor“ ist. Von Seiten der Gegner des gesetzlichen Mindestlohnes wird immer wieder betont, dass dann die Personalkosten so hoch sein würden, dass das Unternehmen nicht mehr profitabel arbeiten könne und dass es außerdem ja § 138 BGB gebe, der den Lohnwucher verbiete. Zwei der wichtigsten Argumente.

Zunächst zum Lohnwucher. „Wucher“ heißt in diesem Zusammenhang nicht „ganz viel“ sondern „ganz wenig“. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu am 22.4.2009 zuletzt folgendes entschieden:

„Nach § 138 II BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das sich jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit oder des Mangels an Urteilsvermögen eines Anderen für eine Leistung Vermögensvorteile gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen. Diese Regelung gilt auch für Arbeitsverhältnisse. Das Bundesarbeitsgericht hat ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung angenommen, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreicht. Maßgebend ist der Vergleich mit der tariflichen Stunden- oder Monatsvergütung ohne Zulagen und Zuschläge, wobei auch die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen sind. Eine bei Abschluss des Arbeitsvertrags danach nicht zu beanstandende Vergütung kann nach dem Urteil des BAG vom 22.04.2009 (5 AZR 436/08) durch die Entwicklung des Tariflohns wucherisch werden.“
Wenn Arbeitsleistung und Verdienst also in einem krassen Missverhältnis zueinander stehen, spricht man von Lohnwucher. Eine Bezugsgröße dafür ist der Tariflohn der jeweiligen Branche oder die „sonst übliche Vergütung“ (Hierzu kurz: Viel „Spaß“ bei der Recherche, des „sonst Üblichen“!)
In dem obigen Fall hatte eine Hilfsarbeiterin in einem Gartenbaubetrieb für einen Stundenlohn von 3,25 Euro monatlich bis zu 352 Stunden gearbeitet. Das sind rund 83 Stunden pro Woche und damit ganz nebenbei auch noch ein „krasser“ Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz. Aber das soll hier außen vor bleiben. Der tarifliche Lohn lag bei 7,84 Euro pro Stunde. Die Frau hatte also nicht einmal die Hälfte des Tariflohns bekommen. Sie gewann ihren Prozess. Mit dem Argument des Lohnwuchers können ganz besonders krasse Missverhältnisse also in der Tat bereinigt werden und die Rechtsprechung dazu ist auch eindeutig und konstant.
So weit, so gut. Was ist aber, wenn es für ganze Bereiche keine Tarifverträge gibt, an denen man sich orientieren kann? Was ist, wenn schon der Tariflohn kaum ausreicht, um zu überleben? In dem obigen Fall lag der Tariflohn bei 7,84 Euro brutto. Zwei Drittel davon sind 5,22 Euro brutto. Bei einer 40-Stunden-Woche kommt man damit auf ca. 900 Euro brutto. Wucher im Sinne der Rechtsprechung ist das nicht. Aber leben kann man davon auch nicht. Das Thema Mindestlohn und gerechte Bezahlung ist daher ein sehr dringendes. Und wir alle können etwas dafür tun, damit Unternehmer bereit sind, auch ordentliche Löhne zu bezahlen: Verbraucher entscheiden mit über die Löhne. Entleiher von Zeitarbeitern entscheiden mit über deren Löhne. Preisdruck bis zum geht nicht mehr macht auch Löhne kaputt. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Mit der „Geiz ist geil“-Mentalität kommen wir da nicht weiter.

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von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht

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