6 Jun
2013

Vorstellungsgespräch während der Krankheit – Kündigungsgrund für einen leitenden Angestellten?

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern verneint die Frage in der Überschrift in seinem Urteil vom 5.3.2013 (5 Sa 106/12) und räumt gleich den beliebten Rechtsirrtum aus, der Arbeitnehmer habe während der Krankheit das Bett oder zumindest das Haus zu hüten. Dem ist nämlich bei weitem nicht so. Der Arbeitnehmer hat sich während der Krankheit so zu verhalten, dass er schnell wieder gesund wird und den Genesungsprozess nicht gefährdet. Doch jemand, der vom Arzt keine Bettruhe oder ein zu-Hause-bleiben verordnet bekommt, kann schon das Haus verlassen und Spaziergänge machen oder auch einkaufen gehen etc. Doch zum Fall, den das LAG Mecklenburg-Vorpommern zu entscheiden hatte:

Einem Arbeitnehmer, der laut Arbeitsvertrag als leitender Angestellter (Abteilungsleiter) beschäftigt wurde, war außerordentlich (= fristlos), hilfsweise ordentlich gekündigt worden. Zunächst wurde vom LAG festgestellt, dass der sogenannte leitende Angestellte, wie so oft, gar keiner war im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes, weil er nicht die Befugnis hatte, selbstständig Arbeitnehmer einzustellen oder zu entlassen. Dies ist nur deshalb erwähnenswert, weil Arbeitsvertragsparteien gern im Arbeitsvertrag zu regeln versuchen, dass ein Mitarbeiter den Status eines leitenden Angestellten hat und dass man sich darüber einig ist. Man kann sich darüber aber einig sein wie man will, es nützt nichts. Das Gesetz geht nämlich bei der Frage „Leitender Angestellter oder nicht?“ nicht danach, was die Parteien mal gewollt haben, sondern wie das Verhältnis tatsächlich gelebt wird. Tatsächlich hatte man dem Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag nach 6 Monaten auch die Erteilung der Prokura versprochen und es war zu Gesprächen gekommen, ob er Geschäftsführer werden sollte. Alles verlief im Sande und der Mitarbeiter, dem die vor die Nase gehängte Möhre nun nicht mehr ganz so schmackhaft vorkam, begann sich verständlicherweise zu ärgern.

Der Arbeitnehmer war also kein leitender Angestellter, sondern allenfalls ein leidender, denn er wurde krank und wollte zudem seinen Arbeitgeber verlassen und dies war des Pudels Kern in diesem Fall. Der Arbeitnehmer hatte sich aufgrund der unguten Entwicklung seines Arbeitsverhältnisses schnell die logische Konsequenz gezogen und auf eine Stellenanzeige eines anderen Arbeitgebers (städtische gGmbH) beworben. Die luden ihn ein, weil er zu den aussichtsreichen Kandidaten gehörte und er wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen, worüber am nächsten Tag die lokale Presse berichtete. Das Vorstellungsgespräch hatte während einer 16 Tage dauernden Arbeitsunfähigkeit stattgefunden. Der Arbeitgeber, für den das Fass nun auch zum überlaufen voll war, kündigte noch am Tag des Vorstellungsgeprächs bei der Konkurrenz außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Arbeitnehmer klagte ebenso prompt (3 Tage nach Erhalt der Kündigung) und bekam vor dem Arbeitsgericht vollumfänglich Recht. Die Beklagte ging in Berufung. Der Arbeitnehmer hatte inzwischen einen neuen Job gefunden und verfolgte nicht mehr das primäre Ziel, bei der Beklagten weiter beschäftigt zu werden. Es ging ihm aber noch darum, zu klären, dass die Kündigungen unwirksam waren und er bis zum Beginn seines Arbeitsverhältnisses beim neuen Arbeitgeber noch von der Beklagten bezahlt werden musste. Diesen Anspruch hat er nur, wenn sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug mit der Entgegennahme der Arbeitsleistung befindet und das ist nur der Fall, wenn das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst ist.

To cut a long story short: Das LAG sah es wie das Arbeitsgericht. Die Kündigungen waren nicht rechtens. Der Arbeitnehmer durfte während seiner Arbeitsunfähigkeit ein Vorstellungsgespräch wahrnehmen. Er gefährdete im konkreten Fall damit nicht die Genesung. Er verhielt sich also bezogen auf die Verpflichtung „Werde gesund“ pflichtgemäß. Wörtlich führte das LAG Mecklenburg-Vorpommern dazu aus:

„Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat während seiner Ausfallzeit durch sein eigenes Verhalten dafür Sorge zu tragen, dass er die Phase der Arbeitsunfähigkeit möglichst zügig überwindet. Das bedeutet aber nicht, dass er stets nur das Bett zu hüten hat, oder jedenfalls die eigene Wohnung nicht verlassen sollte. Vielmehr ist auf die je vorliegende Krankheit abzustellen, um ermessen zu können, welche Tätigkeiten einem Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit untersagt sind.“

Im vorliegenden Fall hatte sich der Kläger einen Nerv am rechten Arm eingeklemmt und hatte daher von seinem Arzt den Rat bekommen, den rechten Arm nicht zu belasten. Das Vorstellungsgespräch hinderte diesen Genesungsprozess also nicht.

Ein anderer Gesichtspunkt, unter dem die Kündigung evtl. hätte wirksam sein können, war der vorhandene Abkehrwille des Arbeitnehmers. Jedoch ist eine Kündigung bei vorliegendem Abkehrwillen des Arbeitnehmers nicht ohne Weiteres wirksam. Wenn und solange sich der Arbeitnehmer arbeitsvertragsgemäß verhält, kann ihm nicht gekündigt werden. Er darf sich nach anderen Arbeitsfeldern umschauen. Das Arbeitsverhältnis ist zwar ein Dauerschuldverhältnis aber man kann sich daraus lösen. Das gebietet die Berufsfreiheit (Art. 12 GG). Das LAG hat ausgeführt, dass eine Kündigung nur dann gerechtfertigt gewesen wäre, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zugunsten des zukünftigen Arbeitsverhältnisses verletzt hätte. Das hat er aber nicht.

Der Fall war noch um einiges komplexer als hier geschildert und bietet hinter den Kulissen und zwischen den Zeilen sehr viel Stoff zum nachdenken darüber, wie man der Sache Herr geworden wäre, wenn man die Emotionen beider Parteien gesehen und die richtigen Schlüsse daraus gezogen hätte.

 

von: Dr. Sandra Flämig | Kategorie: Aktuelles Arbeitsrecht Blog

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